Den Brexit hat noch am Tag der Wahl kaum jemand für
wahrscheinlich gehalten, am nächsten Morgen dann der Schrecken: Eine knappe
Mehrheit der Wähler hat für den Austritt des Vereinten Königreiches (United
Kingdom, UK) aus der Europäischen Union (EU) gestimmt. In Kürze stehen Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Italien an, wo europafeindliche Parteien
Chancen haben, ins Parlament und eventuell auch an die Regierung zu kommen. Diese wollen sich ebenfalls für
einen EU-Austritt ihrer Länder einsetzen. Hat die EU noch eine Chance?
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Was muss passieren, damit die EU-Bürger ihre Union wirklich schätzen und verteidigen? |
Für viele von uns, denen
die EU wichtig ist,
war die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, wie ein Schlag ins
Gesicht – als würde man von Freunden im Stich gelassen. Doch wenn ich heute mit
etwas Abstand zurückblicke, denke ich, man hätte die Anzeichen eigentlich
erkennen und frühzeitig dagegenhalten müssen.
Anstehende Wahlen in Europa
Niederlande Parlamentswahlen März 2017
Die rechtspopulistische Partei PVV liegt aktuell in Umfragen vorne.
Frankreich Präsidentschaftswahlen April/Mai 2017
Marie Le Pen von der rechtsextremen und antieuropäischen Partei Front National wird möglicherweise die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewinnen. Die Frage ist, ob sich die Wähler der anderen Parteien mehrheitlich hinter ihren Gegenkandidaten bei der anschließenden Stichwahl stellen werden.
Deutschland
26. März Saarland Landtag
7. Mai Schleswig-Holstein Landtag
14. Mai Nordrhein-Westfalen Landtag
24. September alle Bundesländer Bundestag
Italien Parlamentswahl Mai 2018
Die Europäische Union (EU) ist aus einer Wirtschaftsgemeinschaft
entstanden. Die wirtschaftliche Verflechtung der beteiligten Länder sollte das
Wirtschaftswachstum ankurbeln und in Zukunft Kriege verhindern. Zwar wuchs die
EU auch einigermaßen zu einer Wertegemeinschaft und einer (wirtschafts-)politischen
Kraft zusammen, aber sie wurde und wird nach wie vor von vielen EU-Bürgern als
in Brüssel verorteter Fremdkörper angesehen, dessen Arbeitsweise mal als
kleinkrämerisch bürokratisch (Gurkenverordnung) bis allzu banken- und
unternehmensfreundlich (Bankenrettungen, Pestizidzulassungen, Gentechnik etc.),
auf jeden Fall wenig arbeitnehmer- und verbraucherfreundlich wahrgenommen wird.
Da einige nationale Politiker gerne die EU zum Sündenbock erklären,
wenn sie unpopuläre Entscheidungen treffen, statt diese vernünftig zu
begründen, und sie die Entwicklungen der EU selten als positiv herausstellen, haben
wohl nicht wenige EU-Bürger den Eindruck, dass die EU für sie und ihr Land ein Klotz
am Bein ist, der Geld kostet, ihnen Konkurrenten auf dem Arbeits- und
Wohnungsmarkt auf den Hals hetzt (Arbeitnehmerfreizügigkeit, Asylrecht) oder sie
mit Umweltauflagen quält.
Es wird ihnen nicht oder zu selten erklärt, dass sie die
vielen
Vorteile der EU für die Bürger auch mit einigen Nachteilen (vorübergehend) erkaufen beziehungsweise dass
manche der Sorgen überhaupt nicht auf die EU zurückzuführen sind, sondern auf den
digitalen Wandel und Entwicklungen in der Welt. Und leider scheint auch
vergessen zu werden, dass das eigene Land, die eigene gewählte Regierung, die
EU zu dem mitgeformt hat, was sie heute ist. Und sie haben als EU-Bürger auch
das
Recht und die Möglichkeit, sie mit- und umzugestalten – beispielsweise über die
Europawahlen, Europäische Bürgerinitiativen, Petitionen etc.
Meiner Meinung war es ein sehr großer Fehler der britischen
Regierung, keine genaueren Bedingungen für das EU-Referendum zum Ausstieg oder
Verbleib zu stellen. Einen Austritt bei einer einfachen Mehrheit bei gleichzeitig
keinerlei Anforderungen an die Wahlbeteiligung in Aussicht zu stellen, war unverantwortlich - der damalige Premierminister David Cameron hatte die Lage offensichtlich völlig falsch
eingeschätzt. Obwohl das Ergebnis des EU-Referendums eigentlich nicht
rechtlich bindend ist, will sich nun niemand „dem Willen des Volkes“ entgegenstellen. Eine verfahrene Situation, denn es ist die Frage, ob das Ergebnis tatsächlich der Wille des Volkes
ist - viele erklärten nach dem Referendum, sie seien schlecht aufgeklärt oder
sogar von den Leave-Vertretern belogen worden.
Die Möglicheit, einfach so mal auszusteigen und die
Verantwortung den anderen EU-Ländern und -Bürgern zu überlassen, hätte aber auch durch die
EU selbst verhindert werden müssen. Man hätte eine entsprechende Klausel in das Vertragswerk aufnehmen können (beispielsweise: Ausstieg nur nach Volksabstimmung mit
Zweidrittelmehrheit bei mindestens 70 % Wahlbeteiligung möglich o. Ä). Allerdings in der jetzigen Situation kurz vor den nächsten nationalen Wahlen solche Regeln auf EU-Ebene einzuführen, geht auch nicht, denn dann würden sich viele möglicherweise gegängelt fühlen. Dieser Zug ist erst einmal
abgefahren, bis wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt ist.
EU - we are family
Aber selbst wenn die Regierung eines Landes so eine
Entscheidung mit einer einfachen Mehrheit erlaubt, dürfte es nicht zu so einem traurigen
Ergebnis wie in Großbritannien kommen. Wenn die Menschen selbst sich als Europäische
Gemeinschaft oder gar Europäische Familie begreifen würden, die für sie
erweiterte
Heimat, Sicherheits- und Wohlstandsgarant sein kann, würden sie die
EU nicht freiwillig verlassen wollen. Doch so ist es aktuell in vielen Ländern nicht.
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Damit es soweit kommt, dass mehr Bürger ihr
Herz nicht nur an das eigene Land, sondern etwas davon auch an die EU hängen, muss die Politik meiner Meinung nach viel deutlicher auf die Bürger zugehen,
ihnen zuhören, sie ernst nehmen und sie noch offensiver zum
Mitgestalten auffordern. Jeder einzelne Bürger muss das Gefühl haben, dass er der nationalen und der EU-Politik wichtiger ist
als Banken oder Unternehmen beziehungsweise müssen Zusammenhänge besser erklärt
werden – beispielsweise, was die Rettung einer Bank oder eines anderen
Unternehmens dem Bürger bringt, der diese Rettung ja letztendlich bezahlt. Umgekehrt
müssen wir Bürger dies auch noch stärker von der Politik auf nationaler und
EU-Ebene einfordern.
Auf Dauer kann meiner Meinung nach nur eine EU der Menschen Bestand
haben – die Wirtschaft sollte immer nur Mittel zum Zweck sein.
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