Samstag, 26. Juli 2014

Pflanzenfabriken: eine Variante des Urbanen Gartenbaus

Bei dem Begriff Urbaner Gartenbau denke ich zuerst an gartenbaulich genutzte Dächer, an Hochbeete in Gemeinschaftsgärten, Pflanzkisten auf "besetzten" Flächen, Mischkulturpflanzungen in Hinterhöfen, Selbstversorgung mithilfe von Töpfen, Balkonkästen und Beeten in Gemeinschaftsgärten. Vieles davon ist urbaner Freizeitgartenbau ("Urban Gardening"), einiges aber auch professioneller Urbaner Gartenbau ("Urban Horticulture", "Urban Farming", "Urban Agriculture"). Im Großen und Ganzen verbinde ich mit Urbanem Gartenbau ein bisschen Landglück und (hoffentlich auch) Ökologie in die Stadt geholt.

Aber reicht dieser "normale" urbane Pflanzenanbau, um die Ernährung einer wachsenden Zahl an Menschen in der Stadt zu sichern, vor allem, wenn man möglichst verbrauchernah erzeugen möchte?
    
Eindrücke aus einer Pflanzenfabrik in Korea 

Möglicherweise lässt sich der Bedarf an frischem Gemüse und Kräutern in deutschen Städten tatsächlich mit Freiland- und Gewächshausanbau in der Stadt oder in Stadtnähe, Zukauf vom Land und mit Importen aus anderen Ländern decken, jedenfalls solange die Bevölkerung nicht plötzlich stark wächst oder sich andere Faktoren ändern. Aber was ist mit den Megastädten in anderen Teilen der Welt? Reicht die bisherige Art des Pflanzenbaus, um viele Millionen Menschen auf engem Raum zu versorgen?

In der Metropolregion Tokio (Japan) leben jetzt schon über 36 Millionen Einwohner, in Jakarta (Indonesien) knapp 30 Millionen, in Delhi (Indien) 24 Millionen, in Seoul (Südkorea) fast 23 Millionen. Und so weiter. Und in einigen Jahren wird es in manchen dieser Städte das Vielfache sein. Müsste, auch aus Gründen der Nachhaltigkeit, nicht regional und effizienter angebaut werden?

Hier kommt eine ganz andere Art des Gartenbaus ins Spiel, die schon jetzt an vielen Orten nicht nur wissenschaftlich untersucht wird, sondern teilweise sogar schon im kommerziellen Einsatz ist: das Produktionssystem Pflanzenfabrik.

Auch wenn manche "normale" Gewächshauskultur eines Gartenbaubetriebes mit der Pflanzenkultur, wie wir sie im Garten oder auf dem Balkon praktizieren, nichts mehr zu tun hat - man denke beispielsweise an riesige Gewächshäuser mit Tomatenpflanzen, so weit das Auge reicht, die nicht in Erde, sondern in Rinnen mit Nährstofflösung (Hydroponik) stehen und durch Klimasteuerung und Nützlingseinsatz gesund erhalten und durch Hummelausbringung befruchtet werden (BR Mediathek über einen Tomaten-Betrieb mit Energie aus Klärschlamm). Zur Pflanzenfabrik ist es aber noch ein großer Schritt.

Pflanzenfabriken haben keine Fenster. Die Luftzusammensetzung und die Raumtemperatur werden permanent kontrolliert und automatisch geregelt. Produziert wird in Regalen mit vielen Fächern übereinander ("Vertical Farming"), in Rinnen mit Nährstofflösungen und mit Kunstlicht. Vor allem niedrige Gemüse, Arznei- und Gewürzkräuter, denen es nichts ausmacht, eng zu stehen, können so übereinander angebaut werden.

Wo so eine Pflanzenfabrik steht, spielt keine Rolle, da sie durch ihre Technik unabhängig von der Außenwelt betrieben werden kann. Pflanzenfabriken können im Prinzip in der Wüste, auf einem anderen Planeten oder eben auch in der Stadt errichtet werden. Das Produktionssystem Pflanzenfabrik mit seinem hohen Technologieeinsatz und seiner Flächeneffizienz ist also (auch) eine Variante des Urbanen Gartenbaus, wenn auch recht nahe an die Biotechnologie grenzend.

Mit einer Pflanzenfabrik kann nah beim Verbraucher produziert werden - in alten Fabriken, Lagerhäusern, aufgegebenen U-Bahnschächten genauso wie in Neubauten. In Japan soll es laut Urban Ag Products eMagazine, Ausgabe 6/Juli 2014 schon 170 solcher Pflanzenfabriken geben. Dort wurde die entsprechende Forschung und Entwicklung vom Staat gefördert, unter anderem um unabhängiger von chinesischen Importen zu werden: Die Japaner machten sich Sorgen wegen des dortigen Pestizideinsatzes.

Der CO2-Fußabdruck (Carbon Footprint, CFP) bei Transport und Distribution lässt sich mit Pflanzenfabriken in Verbrauchernähe vielleicht reduzieren, auch der Wasserverbrauch während der Produktion dürfte sich mit geschlossenen Nährstoffkreisläufen und unter kontrollierten Klimabedingungen verringern lassen. Durch die Regulierung von Nährstoffen und Licht lässt sich theoretisch nitratarmes Gemüse mit möglichst niedrigem Nährstoff-Input erzeugen. Aber natürlich muss man alle Glieder in Bezug auf die Nachhaltigkeit einer Wertschöpfungskette bewerten, denn die notwendige technische Ausstattung und die Betriebsenergie - vor allem für die künstliche Belichtung - fressen diese Vorteile vermutlich wieder auf.

Die äußere und innere Qualität der kleinen Gemüse aus den Pflanzenfabriken scheint gut zu sein - ich habe jedenfalls noch nichts Gegenteiliges gehört, wobei ich mich frage, ob man tatsächlich schon die Vielzahl der Mineralstoffe und Spurenelemente optimal dosieren und kombinieren kann. Aber natürlich muss man auch vorsichtig sein mit dem, was veröffentlicht wird, und alles kritisch hinterfragen, denn es gibt genügend Stakeholder, die auf das große Geschäft bei der technischen Ausstattung hoffen, wenn sich die Pflanzenfabriken ausbreiten.

Derzeit sind die Kosten der Gemüseerzeugung in Pflanzenfabriken noch zu hoch, als dass die Produkte mit Gartenbauerzeugnissen aus dem Freiland oder Gewächshaus konkurrieren zu könnten. Trotzdem ist der Anbau in der Pflanzenfabrik eine Option beziehungsweise als zusätzlicher Markt schon Realität - zumindest in Japan, Südkorea und einigen anderen Ländern.

Ich selbst bin etwas zwiegespalten. Ich mag die Vorstellung, dass mein Salat aus einem Biobetrieb kommt - mit Mischkultur, Kompostierung, Bodenpflege - lieber, als die Vorstellung, er stammte aus einer Pflanzenfabrik. Andererseits kann der Salat aus der Pflanzenfabrik unschlagbar frisch sein. Und möglicherweise gibt es für die Menschen in manchen Städten in ein paar Jahren auch gar keine Alternative, wenn sie frisches Gemüse oder Kräuter essen möchten.
    
Hier ist die Pflanzenfabrik gleich im Supermarkt untergebracht. 
Der Salat ist teurer, aber superfrisch geerntet. 

Wie ist eure Meinung zum Thema Pflanzenfabrik?

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Dienstag, 22. Juli 2014

Schlichterstelle für Online-KäuferInnen

Es wäre völlig an mir vorübergegangen, wenn mich nicht eine kleine Notiz in Finanztest 8/2014 darauf aufmerksam gemacht hätte, dass es im Internet eine Schlichterstelle für Online-Shopper gibt.

Tatsächlich wurde die Schlichtungsstelle schon 2009 als Projekt des Zentrums für Europäischen Verbraucherschutz geschaffen. Sie ist für (fast alle) Streitfälle zwischen Verbrauchern und Unternehmen da, die auf im Internet geschlossene Verträgen basieren. Das Gute: Das Schlichtungsverfahren ist online und kostenlos!

Ab Juli 2015 muss jedes EU-Land Schlichtungsstellen haben.

www.online-schlichter.de

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Mittwoch, 9. Juli 2014

Mitmachen: Befragung Hobbygärtner und Urban Gardener!

Neue Befragung Hobbygärtner und Urban Gardener
Neue Umfrage zu Einkaufsgewohnheiten und Auswahlkriterien bei Samen, Pflanzen und mehr für Garten und Balkon. Es sind nur wenige Fragen und die Beantwortung dauert bloß ein paar Minuten. Es geht darum, die Verbraucher- und Anwenderwünsche genauer zu identifizieren und gegenüber Gartenbau und Handel artikulieren zu können.

Die Befragung läuft über Survey Monkey. Über die Ergebnisse werde ich in meinen Blogs und gegenfalls in anderen Medien berichten.

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Nachtrag am 6.5.2015
Die Umfrage wurde gestern beendet.

Montag, 7. Juli 2014

Nachhaltigkeit: Verbraucher haben Einfluss


Gärtnerische Produkte - wie nachhaltig sind sie?
Kürzlich war ich im Kundenauftrag beim Weihenstephaner Hochschulforum Gartenbau der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT). "Nachhaltigkeit im Gartenbau: Chancen, Risiken, Realitäten" war das Thema der ganztägigen Veranstaltung, über welche ich für den Auftraggeber schreiben sollte. Wie der Titel schon sagt, ging es um das Thema Nachhaltigkeit aus Sicht des Gartenbaus – der professionellen Pflanzen- und Lebensmittelproduktion.
 
Aktuelle Forschungsergebnisse und Erfahrungen zu den Aspekten ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit wurden vorgestellt und diskutiert. Wie es das Thema Nachhaltigkeit aber so an sich hat, kann man es nicht isoliert sehen, sondern muss die ganze Wertschöpfungskette von der Beschaffung der Rohstoffe (Dünger, Pflanzerde) über die Produktion, Vermarktung/Distribution bis zur Entsorgung betrachten und analysieren – from cradle to grave, von der Wiege zur Bahre, sozusagen. 

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Während ich den Vorträgen lauschte, wurde mir klar, wie sehr Verbraucher die Nachhaltigkeit ihrer gekauften Produkte beeinflussen können. Sie können im Prinzip die Bemühungen anderer Glieder in der Wertschöpfungskette mehr oder weniger zunichtemachen. Andererseits haben sie die Macht, durch ihren Einkauf die Produzenten und den Handel zu beeinflussen. Aber wissen die Konsumenten das auch?

Beispiel CO2-Fussabdruck
Viele Faktoren haben einen großen Einfluss auf den, CO2-Fussabdruck, Englisch: Product Carbon Footprint (PCF), von Gartenbauprodukten. Spargel verursacht beispielsweise 0,7 bis 6,3 kg CO2-Äquivalente, Erdbeeren 0,1 bis 10,2 kg, Schnittrosen 0,6 bis 21,6 kg und Orchideen 4,3 bis 30,8 kg CO2-Äquivalente, so Dipl.-Ing. (FH) Paul Lampert von der HSWT in seinem Vortrag. Diese PCF-Spannweiten umfassen jeweils alle Prozesse der Produktion, der Verteilung und beim Konsumenten. Die Spannweiten sind wegen des Verbrauchereinflusses so enorm groß.

Natürlich verursacht ein Gemüse, das bei uns im Winter im beheizten Gewächshaus angebaut wird, eine große Menge klimabeeinflussender Emissionen. Andererseits belastet auch der Transport per Flugzeug oder eine ineffiziente Distributionskette die CO2-Bilanz. Doch das Verbraucherverhalten bei Einkauf und häuslicher Verarbeitung kann diese Menge im ungünstigsten Fall (wenn der Verbraucher alles falsch macht) immer noch übertreffen – im Falle von Freilandgemüse kann der Verbraucher sogar ein Mehrfaches an klimarelevanten Emissionen zu verantworten haben.

Während ein Gartenbaubetrieb schon aus Kostengründen versuchen wird, den PCF eines Produktes niedrig zu halten, denn schließlich ist der meist ein Symptom vom Verbrauch teurer Energie oder anderer Rohstoffe, sind wir Verbraucher uns möglicherweise nicht immer bewusst, wo wir klimaschädlich handeln. Es sei aber vorweggeschickt, dass die durchschnittliche Menge der verbraucherseitigen klimarelevanten Emissionen eines Produktes normalerweise unter der durch Produktion und Transport verursachten liegt.

Top-Nachhaltigkeitstipps für Verbraucher: Autofahrten reduzieren/rationlisieren,
Gemüse mit wenig Wasser waschen und beim Kochen ebenfalls
nicht unnötig viel Wasser nehmen..
Zwar ist es aus Sicht des Gärtners CO2-sparend, wenn seine Kunden die Erdbeeren selbst pflücken, statt dass er sie ernten und zur Vermarktung irgendwohin transportieren muss. Doch auf die gesamte Wertschöpfungskette bzw. den Lebenszyklus des Produktes bezogen kann die Selbstpflücke klimaschädlicher als gut organisierte Importe sein – nämlich, wenn die Selbstpflücker alle von weit her mit dem Auto zum Pflücken anreisen. Das Gleiche gilt auch für den "Hofladentourismus". Die Nachhaltigkeit der regionalen umweltgerechten Produktion kann zunichtegemacht werden, wenn der Verbraucher mehrmals pro Woche weite Wege aufs Land raus mit dem Auto zurücklegt.

Sicher, der PCF beziehungsweise die Klimaschädlichkeit ist nur ein Aspekt beim Einkauf von Pflanzen und Lebensmittel, aber trotzdem können wir Verbraucher uns hier vielleicht bewusst besser verhalten: Lieber seltener mit dem Auto einkaufen und wenn, dann einen Großeinkauf tätigen, vor allem, wenn wir zum Einkaufen weiter weg müssen, außerdem Fahrgemeinschaften bilden, beim Anbieter nach einer ökologisch sinnvolleren Verteilung der Waren und/oder beim Supermarkt nach regionalen Produkten fragen, öfter mal zu Fuß oder mit dem Fahrrad im Laden um die Ecke einkaufen etc.

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Viel Energie und damit CO2 lässt sich übrigens auch durch Kochen mit weniger Wasser (Kartoffeln, Gemüse) einsparen.

Beispiel Fairtrade
Fairtrade will nicht nur bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der ProduzentInnen und ArbeiterInnen in den Produktherkunftsländern im Süden erreichen, sondern fördert dort auch den nachhaltigen Anbau, Nützlingseinsatz und Renaturierung. Fairtrade für Schnittblumen ist eine Erfolgsgeschichte – dank deutschen VerbraucherInnen.

Inzwischen ist jede vierte Rose, die in Deutschland verkauft wird, Fairtrade-zertifiziert! 2013 waren es 324 Millionen Stiele (2005 war man mit 3 Millionen gestartet).

Das heißt, deutschen Verbrauchern ist es wichtig, dass die, die unsere Produkte in Afrika, Asien und Lateinamerika produzieren, ordentlich leben und arbeiten können. Wäre dem nicht so, wären nicht so viele Supermarktketten und der Fachhandel darauf angesprungen, denn schließlich sind diese Produkte durch die aufgeschlagene Fairtrade-Prämie teurer. Über den Fairtrade-Code am Produkt kann der Käufer übrigens auf der Fairtrade-Internetseite nachschauen, was mit der Prämie des jeweiligen Produktes geschieht.

Meine ausführlichen Berichte über alle Vorträge des Weihenstephaner Hochschulforums Gartenbau 2014 einschließlich der Bickelpreisverleihung werden in den nächsten Ausgaben des DEGAProduktion & Handel Magazins enthalten sein.